"Sie stellen Fragen und lassen mich nicht antworten" - Wie das öffentlich rechtliche Fernsehen den kritisch denkenden Journalismus abschafft

Claudia Schwartz
30.07.2023, 16.20 Uhr 6 min

Am Sonntagabend bricht wieder die Zeit der Freiluftgespräche im Fernsehen an. Die Spitzenpolitiker geben Auskunft, und das Outfit soll locker sein. Aber wie steht es mit der Wahrheitsfindung?

Bitte nicht das Blaue vom Himmel erzählen: Bundeskanzler Olaf Scholz tritt am Sonntag in der ARD zum TV-Sommerinterview an.
Omer Messinger / Getty

Früher war das mit dem Sommerinterview einfach. Bevor die Hitze sich festsetzen konnte, versiegte in Bonn der politische Alltag so leise, als legte sich mit der parlamentarischen Sommerpause eine natürliche Jahreszeit übers Land. Dann konnte Helmut Kohl im kurzärmligen Hemd am österreichischen Wolfgangsee beruhigt Hannelore und die Söhne um sich scharen, und das Fernsehen kam zu Besuch. Das plätschernde Gespräch war dabei weniger wichtig als der solide Ferieneindruck. Damals schrieb sich ausgewählte Biederkeit ins kollektive Gedächtnis und rettete die heile Welt der Nachkriegszeit weit in die achtziger Jahre hinüber.

Lange ist's her. Es ist schwieriger geworden. Wem mit dem letzten Windzug vor der parlamentarischen Sommerpause ein Heizungsgesetz (samt Verfahren vor dem Verfassungsgericht) und ein AfD-Landrat (samt seiner verfassungsrechtlichen Überprüfung) ins Haus flattert wie dieses Jahr, braucht keine klugen Ideen mehr, wie man Hitze gut übersteht. Sommerinterviews vor Südtiroler Landschaft oder blauem Himmel über Norderney könnten in diesem Kontext schnell einmal befremdlich wirken.

Aufruhr unerwünscht

Aber das TV-Format ist mittlerweile zur unverwüstlichen Institution geworden, gibt es doch Politikern die Gelegenheit, sich ohne Krawatte oder im Sommerkleid von der launigen Seite zu präsentieren. Konfliktträchtige News generieren solche Freiluftgespräche selbstverständlich keine. Welcher Politiker wird sich mit einem Shitstorm im Gepäck den Urlaub verderben wollen? Folglich achten die Moderatoren in vorauseilendem Gehorsam darauf, nur wasserdichte Fragen zu stellen, die kaum neu sind und möglichst harmlos und unverbindlich, damit kein Aufruhr entsteht. Oder wie es der ZDF-Co-Moderator Theo Koll formuliert: "Im negativen Extremfall" lässt sich Erkenntnisgewinn auch daraus ziehen, "dass deutlich wird, wie sehr der Interviewte Antworten ausweicht".

Das Paradebeispiel war hier Angela Merkel, die aufs Alleinstellungsmerkmal bestand und sich unverdrossen im Kanzleramt mit Reichstag im Hintergrund den Fragen stellte. Statt Urlaubsambiente gab es Berliner Ausweichmanöver wie: "Sie können davon ausgehen, dass wir eine vernünftige Lösung finden werden" (zur Frage nach ihrer oder Stoibers Kanzlerkandidatur), oder: "Dabei sind Dinge passiert, die absolut nicht akzeptabel sind" (zur Gewalt am G-20-Gipfel).

Da war noch heile Welt: der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und Ehefrau Hannelore Kohl 1986 während ihrer Ferien in St. Gilgen am Wolfgangsee.
Imago

Bald vierzig Jahre nach Kohls televisionärem Wolfgangsee-Debüt stellt sich dennoch die Frage, ob aufgrund des Proporzdenkens im Öffentlich rechtlichen die Zuschauer solch organisierter Langeweile auf ewig ausgeliefert sein sollen. Das diesjährige Programm präsentiert mit den Parteivorsitzenden Friedrich Merz (CDU), Lars Klingbeil (SPD), Christian Lindner (FDP) oder Markus Söder (CSU) das tupfgleiche Personal wie im letzten Sommer, und das mehrheitlich auf beiden öffentlich rechtlichen Kanälen notabene. Da darf auch Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Auftakt in der ARD (2. Juli) beim ZDF (13. August) nicht fehlen. Ob durch die sechswöchige Scholz-Pause allerdings weniger auffällt, dass der Kanzler sich in immer gleichen Phrasen wiederholt, ist fraglich.

Nun kommt das Fernsehen um einen Bundeskanzler beim Sommerinterview wie bei der Neujahrsrede nicht herum. Aber wenn das ZDF seinen Reigen am 9. Juli beginnt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (befragt im Ahrtal von der ZDF-Chefredaktorin Bettina Schausten), dann ist mit dem Gipfel des Betroffenheitsgesprächs die ganze Mutlosigkeit dieser Vorstellungen nicht mehr zu kaschieren.

Man erhält das Prinzip von Status und Rolle aufrecht, statt Politiker einzuladen, die derzeit etwas zu sagen haben. Marie-Agnes Strack-Zimmermann? Boris Pistorius? Hendrik Wüst?

Unterbrechen und bloßstellen

Grundvoraussetzung für kritische Aufklärung wäre so oder so, ein offenes Ohr zu haben für das, was das Gegenüber sagen will. Das Gegenteil war im letzten Jahr zu besichtigen, als Shakuntala Banerjee im ZDF-Sommerinterview die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel die zweite Hälfte des Gesprächs keinen Satz ausreden ließ, nachdem sie in der ersten vor allem selber geschwätzt hatte. Vom niederträchtigen Unterton bei der Frage an die lesbische Weidel nach der Homophobie in ihrer Partei ganz zu schweigen. "Sie stellen Fragen und lassen mich nicht antworten", stellte Alice Weidel fest. Auf diese Weise treibt man der AfD, die sich einmal mehr als Opfer präsentieren kann, noch mehr Wähler in die Arme.

Der TV-Moderator Günther Jauch hat passenderweise kürzlich an eine Geschichte über den einstigen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) erinnert, dem das ZDF drei Themen in den "Heute"-Nachrichten einräumte. Ein dickes Trostpflaster, weil Beck sich als Publikumsgast einer Show von der Kamera benachteiligt sah gegenüber dem damaligen CDU-Oppositionsführer Johannes Gerster. Das war Mitte der neunziger Jahre, geändert hat sich an solchem Geben und Nehmen von Politik und Journalisten nicht viel.

Beim ZDF sitzt derzeit die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, einem so eindeutig links-grün-lastigen Verwaltungsrat vor, dass man sich über die ideologische inhaltliche Ausrichtung des Senders nicht mehr wundert. Das ZDF müsse ein attraktives und anspruchsvolles Programm für alle machen, schließlich zahlten auch alle ihren Beitrag, hat Dreyer einmal schön gesagt. Die TV-Wirklichkeit sieht anders aus. Man muss sich nur einmal die woken Propaganda-Sendungen von Jan Böhmermann ("ZDF Magazin Royale") oder "Reschke Fernsehen" (ARD) ansehen - ein Schelm, wer da an Staatsfernsehen denkt.

So nimmt die Beweihräucherung der herrschenden Politik ihren Lauf. Mit der Ampelregierung und ihrem moralbewehrten Zeitgeist verschärft sich das Problem zusehends. Diese Woche hat die Kabarettistin Christine Prayon ihren Abschied von der ZDF-"Heute-Show" bekanntgegeben mit der Begründung, Andersdenkende würden dort "der Lächerlichkeit preisgegeben". Satire dürfe sich nicht daran beteiligen, "den Diskurs zu verengen". Das ist allerdings mittlerweile der ganz normale gebührenfinanzierte deutsche Fernsehbetrieb.

Klamroths dummer Zwischenruf

Lächerlich gemacht hat letzthin auch der "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth in der ARD eine Diskussionsteilnehmerin, nachdem diese auf die frauenverachtende Kultur mancher Migranten hingewiesen hatte. Sie traute sich schon gar nicht, das Wort "Migranten" auszusprechen, sondern stotterte etwas von "Männern, deren Sprache ich nicht verstehe". Wie weit ist es gekommen, wenn Talkshowgäste sich davor fürchten müssen, Klartext zu reden? Und auch wenn der Shitstorm von rechts gegen Klamroth sich dann nicht minder woke und primitiv ausnahm, als es normalerweise von der linken Seite erschallt, das Vorgehen bei ZDF und ARD hat sich mittlerweile etabliert: Vorgefasste Meinungen werden bestätigt, unerwünschte Argumente werden übertönt, Unliebsame werden mundtot gemacht oder erst gar nicht eingeladen.

Wenn sich Journalismus für die "richtigen" Ziele in den Dienst der Politik stellt, haben wir das Gegenteil von Demokratie. Die Kohl-Inszenierungen mit jährlich wechselnden Streicheltieren und heiler Familie waren ein Spiegelbild der alten Bundesrepublik und vergleichsweise harmlos, sieht man sich die heutigen ideologischen Auswüchse im Öffentlich rechtlichen an.

Nach der Wiedervereinigung regte sich allerdings - schon damals zuerst von Osten her - der Zorn mit der Forderung, Kohl möge doch einmal in den neuen Bundesländern Ferien machen, statt bei Dallmann im Salzkammergut Kuchen zu essen. Dann bekäme der Kanzler, so der Tenor, eine Vorstellung vom Unmut der Ossis, von maroden Städten und stillgelegter Industrie. So weit kam es dann zwar nicht, schließlich hat, wer hart arbeitet, ein Recht auf Urlaub. Aber die neue deutsch-deutsche Spaltung muss dort ihren Anfang genommen haben, wo die einen noch unbeschwert Ferien machten, während die anderen in eine ungewisse Zukunft blickten.

Neugierig und offen?

Mit dem Wechsel zur Berliner Republik rückten die Politiker nicht mehr als Familienväter, sondern als Staatsmänner ins Blickfeld, im bodenständigen Lokal im Zoo (Gerhard Schröder) oder vor der malerischen Kulisse von Siena (Joschka Fischer als letzter Vertreter der Toskana-Fraktion). Die ARD hat den Drehort schon einmal bescheiden heruntergefahren auf die immergleiche Terrasse im Regierungsviertel. Dort sitzt man auf den hässlichsten roten Ledersesseln der Republik immerhin an der frischen Luft. Und verzichtet darauf, die Journalisten quer durch Europa zu schicken, um dann den einen Gesprächspartnern vor spektakulärer Aussicht nur ins Wort zu fallen oder mit den anderen zu sympathisieren, indem man sie ewig labern lässt.

Die Idee des Sommerinterviews wäre ja, dass der Politiker jenseits seiner alltäglichen Sprachhülsen Mensch sein darf und man ihm beim allmählichen Verfertigen der Gedanken beim Reden zusehen könnte. Dazu gehört auch ein Journalismus, der neugierig und offen ist, weiss, wann man dezidiert nachhaken muss, und vor allem nicht glaubt, den Gedanken des anderen schon fertig im eigenen Kopf zu haben.


einige Kommentare

Ellen und Dr. Werner Fritz
Genau das im Artikel erwähnte von Seiten Frau Banerjee unverschämt geführte Interview mit Frau Weidel habe ich in Erinnerung. Deren Geduld war bewundernswert. Damals habe ich mich schriftlich an den Sender gewandt und darauf hingewiesen, dass so etwas an Nicht zu Worte kommen lassen und dann noch verbal angreifen und bloßstellen unglaublich ist. Man hat mir eine lapidare vorgefertigte allgemeine Antwort geschickt. Ja es stimmt alles genau, was Frau Schwartz hier schreibt, leider. Und eigentlich ist das skandalös, was hier häufig vor sich geht. Ins Wort fallen, wenn man etwas nicht wirklich konkret beantwortet haben will, oder labern lassen, je nach politischer Sympathie und vorgegebener Richtung. Schlimm auch das oft nichtssagende Antworten der Politiker. Und schönes Beispiel auch die Dame Dreyer mit dem unverwechselbaren schönrednerischen großen Widerspruch zwischen Wort und Tat ( egal ob Ahrtal oder ZDF Verwaltungsrat ) Wegducken und Gelabere halt... Aber viele Leute lassen sich leider gerne belabern und beeinflussen. Bequeme Gutgläubigkeit... Die ÖR kann man wegschalten, obwohl man zum Zahlen gezwungen wird. Trotzdem weiß man eben, dass sie immer noch die Haupteinflussmöglichkeit haben und das ist nicht nur ärgerlich sondern auch gefährlich. Das alles hat mit freiheitlicher Demokratie nichts mehr zu tun. E.F.

Helmut Bink
Danke! Leider ist alles so wie beschrieben. Von der betroffenen Journaille - nicht nur beim öffentlich rechtlichen Rundfunk - wird von "Haltungsjournalismus" gesprochen. De facto ist das aber rot- grüner Agitprop. Erschreckende Entwicklung.


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